Eine Zeitzeugin berichtet
Am Dienstag und Mittwoch erhielten die Schülerinnen und Schüler der IRS plus Vallendar Besuch von Tamar Dreyfuss, einer Überlebenden der Gräuel des Holocausts.
Im Jahr 1938 geboren, erlebte sie von Anfang an das Unrechtsregime der Nationalsozialisten. Als sie ein Jahr alt war, brach der Zweite Weltkrieg aus und prägte ihre frühesten Kindheitserinnerungen. Eine bemerkenswerte Frau Tochter einer beeindruckenden Mutter. Man kann sie als einen Menschen bezeichnen, dem mehrfach von seiner Mutter das Leben geschenkt wurde. Nur durch den Mut und den unbeugsamen Willen ihrer Mutter Jetta zu überleben, aber vor allem das Leben ihrer kleinen Tochter Tamar zu retten, konnten beide die gefährlichen Jahre überleben.
Tamar Dreyfuss berichtet, dass ihre Großeltern zu den ersten Opfern der Massenerschie-
ßungen in Ponar (in der Nähe von Wilna in Litauen) gehörten, denen mehr als 100000 Menschen zum Opfer fielen. Ihr Vater starb in einem Konzentrationslager sowie viele ihrer Verwandten. In Viehwaggons wurden sie und ihre Mutter mit unzählig vielen Menschen tagelang in Richtung eines Konzentrationslagers in Estland transportiert.
Während dieses Transportes unternahm ihre Mutter zwei Fluchtversuche, bei denen sie immer wieder eingefangen wurde und hart dafür bestraft wurde. Erst im Konzentrationslager, wo sich die Mutter bei der Selektion für ihre Tochter und gegen das Arbeitslager entschied, schaffte sie es mit ihrer kleinen Tochter einfach aus dem Konzentrationslager zu spazieren, indem sie nach dem zwangsweisen Duschen aus einem Berg aus Wäsche ein Kostüm herausnahm, sich die Lippen schminkte, ihrer Tochter ein hübsches Kleid anzog, den Judenstern entfernte und an den Wachen vorbei aus dem Lager hinaus spazierte. Dieser Mut ist unbeschreiblich. Auch wenn das heute so einfach klingt, in der dunklen Zeit des Nationalsozialismus war es mehr als wagemutig. Immer noch gingen sie einer unklaren Zukunft entgegen, doch jeder Tag auf der Flucht war besser als die Gaskammern.
Die Mutter brachte sich und ihre Tochter mit Arbeit auf Gutshöfen durch, da sie sich aufgrund ihrer guten Russischkenntnisse als Russin ausgeben konnte. Tamar Dreyfuss erzählte, dass die schönen Momente in ihrer Kindheit die Erlebnisse mit den Tieren waren. Denen konnte sie vertrauen, mit ihnen hatte sie keine schlechten Erfahrungen gemacht.
Mit Ende des Krieges reisten Tamar Dreyfuss und ihre Mutter weiter und im Alter von zehn Jahren kamen sie in Israel an.
Trotz all dieser schlechten Erfahrungen lebt Tamar Dreyfuss seit ihrem 21. Lebensjahr wieder in Deutschland.
Seit 2002 berichtet Tamar Dreyfuss von ihren Erlebnissen und versucht Grundschülern und Schülern ihre Erlebnisse nahe zu bringen und sie zu sensibilisieren, dass so etwas nie wieder passieren darf. Das ist ihr absolut gelungen. Interesse, Betroffenheit und Faszination konnte man auf den Gesichtern der Schülerinnen und Schüler sehen, während Tamar Dreyfuss ihre Geschichte erzählte. Dabei zeigte sie viele Fotos. Angefangen mit Bildern von ihrer Mutter und frühen Kindheitsfotos, aber auch Bilder von ihrem Elternhaus, dem Ghetto in Wilna und Gedenkstätten in Israel. Eine Schülerin brachte es auf den Punkt: „Es ist faszinierend, wie sie so traurig aussieht, wenn sie ihre Erlebnisse erzählte. Trotzdem wirkt sie so fröhlich, was für eine tolle Frau!“ Diese Schülerin hat absolut Recht. Mit jeder Geste und jeder Bewegung ihres Gesichtes strahlt Tamar Dreyfuss eine positive Lebenshaltung aus. Sie kann die Schülerinnen und Schüler mitreißen. Es war Betroffenheit zu fühlen, immer mit der Gewissheit, dass wir Menschen Dinge ändern können.
Als Resümee verbleibt, dass so etwas nie wieder passieren darf, Ausgrenzung aufgrund von welchen Gründen auch immer, und dass wir auch heute uns anstrengen müssen, auf unsere Mitmenschen zuzugehen. Ihren Besuch kann man nur als Bereicherung ansehen, dank ihrer Mutter und ihrem Mut.